In Marx's "Kapital" heißt es: "Könnten die Waren sprechen, so würden sie sagen, unser Gebrauchswert mag den Menschen interessieren. Er kommt uns nicht als Dingen zu. Was uns aber dinglich zukommt, ist unser Wert. Unser eigner Verkehr als Warendinge beweist das." Die Warensprache, in der sich jede Ware einer anderen verspricht, verspricht aber immer zuviel und zuwenig. Denn das garantielose Versprechen auf zukünftigen Mehrwert ist das "Credo des Kapitals“ (Marx), dem eine uneinholbare Schuld vorausliegt. Mit dem Versprechen des Kredits ist eine eigentümliche Ökonomie der Zeit impliziert. Denn die Ökonomie des Kredits rechnet mit einem unendlichen Aufschub, in dem die Abgeltung der Schulden unendlich vertagt wird. Gezahlt wird aber trotzdem – mit der Kredibilität des Schuldners, dem Versprechen auf zukünftige Begleichung. Die aktuellen Debatten um einen Schuldenschnitt Griechenlands kreisen genau um diesen Punkt der Kredibilität des Schuldners. Die neue linke Regierung Griechenlands hat es nämlich gewagt, an diesem Versprechen und seiner zeitigenden Funktion zu rütteln. In meinem Vortrag untersuche ich diesen nicht nur ökonomischen Nexus von Versprechen, Zeitigung und Schuld(en). Erst kürzlich hat Maurizio Lazzarato in seinem Essay "Die Fabrik des verschuldeten Menschen" mit Nietzsches "Genealogie der Moral" daran erinnert, dass Schuld nicht nur ökonomisch zu lesen, sondern auch als biopolitisches Paradigma des heutigen Kapitalismus zu begreifen ist. Lazzaratos "Essay über das neoliberale Leben" radikalisiert Nietzsches Einsicht, wonach „jener moralische Hauptbegriff 'Schuld' seine Herkunft aus dem sehr materiellen Begriff ‚Schulden‘ genommen hat". In meinem Vortrag folge ich dieser Spur und konfrontiere diese Lesart mit Walter Benjamins Fragment über "Kapitalismus als Religion". Dort wird, ebenfalls mit Verweis auf Nietzsche, der Kapitalismus als neuheidnische Kult- und Schuldreligion verstanden, von der nicht Erlösung oder Entsühnung, sondern nur Zerstörung und die totale Verschuldung des Lebens zu erwarten sei. Inwiefern teilt sich also in der kapitalistischen Warensprache nicht nur ein Wert- und Kreditverhältnis, sondern auch ein ethischer und geschichtsphilosophischer „Schuldzusammenhang“ (Benjamin) mit?
Sami Khatib, war Researcher am JVE Theory dept., Maastricht, lehrte an der FU Berlin Medien- und Kulturtheorie, Autor des Titels "'Teleologie ohne Endzweck'. Walter Benjamins Entstellung des Messianischen", der Rest unter https://fu-berlin.academia.edu/SamiKhatib