Die Angaben zu seinem Geburtstag widersprechen sich. In Chicago soll er zur Welt gekommen sein und ein ungnädiger Lebenslauf beginnt, der vorerst 2012 in einem wunderbaren ersten Album gipfelt. Aber der Soulsänger, der die Sollbruchstelle zwischen sich und einem typischen gesellschaftlichen Leben mal in tobende, mal in zarte Songs packt, windet sich aus dem wohlklingenden Plattenvertrag. Die Bezeichnung als «Robert Johnson des 21. Jahrhunderts» ist ihm zu viel; er nennt sich lieber Nobody. Mittlerweile sind die Kritiker zum nächsten so genannten Outsider weitergezogen, Beals Verzweiflung aber ist geblieben und verfestigt sich in einer Schlaflosigkeit – diesem elend-einsamen Zustand hat er sein neues, dem Drone zugewandtes Album gewidmet: «He had only ever wanted to make lullabies», schreibt die Plattenfirma.
Mr. Nobody
Von Marco Kamber
Runterschlucken und Still sein gibt schnell chronisches Bauchweh. Und Immer schön raus damit graues Haar. Nun weiss man hier und heute nicht genau, was nun schlimmer sein soll. Innere Zerknirschung oder rissige Fassade? Willis Earl Beal würde wohl den Zwischenweg empfehlen: Die Selbstauflösung. Das Implodieren. Verträge zerreissen, Schlüssel abgeben, Selbermachen. Er kennt das zu gut - was in einer schmuckvoll erzählbaren Künstlerbiografie resultiert, die man hier schön aufschreiben könnte. Doch nein, so einfach mögen wir es nicht. Wir müssen erst woanders durch. Ehrensache, lieber Willis Earl Beal.
Gar nicht gut ging es dem jungen Amerikaner, jetzt 30, als er gemacht hat, was er uns am 6. April zeigen wird. Und wie aufwühlend muss es sein, dieses Wiederkauen da oben auf der Bühne dann, wenn er es uns zeigt? Die Rede ist von seinem Album «Noctunes».
Es ist eine in Musik umgemünzte Sammlung vom Einzigen, was noch da war. Damals, wenn eigentlich der Schlaf in seinem tristen Geist das ewige Denken hätte ablösen müssen. Spät in der Nacht, wenn die Lichter rundherum längst aus waren und es nur noch bei ihm in der Küche brannte. Und im Herz – und sowieso im ganzen Körper. Dieses leicht ziehende Brennen, das auf die Schnelle nur mit Mitteln zu löschen war, die es am nächsten Tag noch stärker flackern lassen. Das Brennen muss von alleine aufhören, sagt man. Erst, wenn nur noch zwei, drei kalte Rauchschwaden aufsteigen, dann ist’s wieder okay.
Dann, wenn man sich vielleicht auch mal kurz in den Zynismus verirrt, wie Beal beim Song «Love is all around» – obwohl eigentlich weit und breit nichts mehr von Love da ist. Und dennoch ist es ein Highlight auf seiner Platte. Denn wie gesagt: Es geht ihm ja um die Auflösung im nichts. Die Tarnkleider überziehen, die eine Musterung haben, die einen an den meisten Ecken nicht auffliegen lässt. Der Tarnanzug nimmt dann irgendwann von alleine das Muster jener Ecke an, wo man sich in der Zeit des Vakuums am meisten aufhält. Und dann ist’s wieder okay.
Sagte sich vielleicht auch Beal, als er das letzte Stück von «Noctunes» schrieb: «Stay over» hat das seltsame Wort «anew» drin, welches im Vergleich zum Rest des Albums ganz schön überpegelt. Im Falsett spritzt es wie ein Feuerwerk über die sonst eher düstere, monotone Stimmung des wundersam grauen Schleiers von Musik. «anew!», aber diesmal ganz ohne zynisch zu sein, sondern mit echter Hoffnung.
Aber eigentlich findet der nomade Beal das unbequeme Vorhergehende, die einsame, kalte Nacht vor dem gelben Sonnenaufgang, wohl interessanter. Und aus seiner Feder klingt es auch echter, das schnörkellose Besingen der Krise. Beals Nächte ohne Schlaf zeugen von den rotierenden Gedanken um seine langsam zerbröckelnde Liebesbeziehung. Demütigung und Eingeständnisse wechseln sich rasend schnell ab, oszillieren miteinander. Verletzung und Lust sind auch ganz nahe beisammen, obwohl es die letzten zwei Gefühle sind, die sich zusammen im gleichen Raum befinden dürften. Ungefilterter kann man das psychotische Biest namens Liebeskummer gar nicht in eine Musikplatte fliessen lassen.
Beal hatte offensichtlich keine Scheu davor, es mit höchster Konzentration zu tun. Er singt ungeschmückt über seine Krise, über jederfraus und jedermanns Krise. Die Krise – ein Begriff, der durch seine ständige Verwendung so bedeutungsleer wird wie eine leere Sandwichverpackung. Aber eigentlich geht es bei Krise doch um die Hälfte des Sandwichs, das man gestern nicht mehr mochte und heute aber schon leicht labbrig ist, sodass man keinen Appetit mehr hat drauf. Und weil man’s ja aufbewahrt hat, will man’s dann auch nicht wegschmeissen. Dann bleibt es eben noch ein bisschen da. Die Krise also: Wenn Altes noch nicht gehen will und das Neue noch nicht kommen mag.
So irgendwie fühlt sich «Noctunes» in der Summe an. Lang ausgedehnte Stücke, die nie zu viel von einem wollen. Flimmernde Synthesizer lassen die düster-blauen Soundteppiche manchmal dezent funkeln, und hier und da gibt es ein paar unaufdringliche Streicher. Der langsame Takt wird von Drumcomputern geschlagen. Ja, man befindet sich in dieser Musik auch in einer endlosen, durchwachten Nacht.
Oder eben: in der Krise. Die Krise als Zwischenmoment. An den überklimatisierten Flughäfen des Lebens rumhängen – ohne ein Ticket irgendwohin. Eine art Unort, wenn man denn so will. Wo sich Beal schon immer wohl fühlte, um jetzt doch auf seinen Werdegang zu kommen. Für Beal bedeuteten diese Unorte vor allem: kein Label (schon gar kein grosses) und auch keinen festen Wohnort (nicht mal eine Wohnung).
Der Mann, der in Chicago zur Welt kam, zog nach dem Rausschmiss aus der Armee nach Albuquerque, New Mexico. Ohne Plan und ohne Geld. Trockene, warme Nächte verbrachte er in Hotels, wenn er als Portier arbeitete. Sonst schlief er im Freien, hatte nichts.
Auch kein Label. Aber viele Ideen für Lieder. Er nahm sie mit einem Kassettenrekorder auf, mit billigen Flohmarkt-Gitarren und Abfallkübel-Trommeln. Das alles brannte er dann auf CDs und verteilte sie überall in der Stadt, mit einer Notiz versehen: Telefonnummer, «please call me». Weil die Musil so gut war, klingelte sein Telefon dann immer öfter. Auch ohne, dass er einen Computer besass, landeten seine Lieder irgendwann im Internet. Und irgendwann war auch mal Damon Albarn am Apparat, oder Cat Power, die ihn dann auch gefeatured hat, als er kurzzeitig bei XL Recordings war. Wo er aber sofort wieder kündete, ohne die geplanten fünf alben rauszubringen.
Willis Earl Beal, einer, der also nirgendwo ist, aber dennoch immer mehr hier als so viele andere. Und eben am 6. April dann, hier oben auf der Bühne.